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Angst & Hund, Teil 1

Angst vor (fremden) Hunden

Die meistgestellte Frage im Zusammenhang mit Angst vor Hunden ist, wie man sich vor einem angreifenden Hund schützen kann. Oft findet man hierzu wenig hilfreiche Ideen, die sich im realen Leben nur schwer anwenden lassen. Nicht weil sie nicht funktionieren würden. Sie müssen auch nicht zwangsläufig falsch sein. Das Problem ist eher, dass man diese Situationen nicht üben kann und im Ernstfall instinktiv doch alles anders macht.

 

Das Schwierige ist, dass es keinen allgemeinen Leitfaden gibt, der auf jede Situation universell anwendbar ist. Die hohe Anzahl unterschiedlicher Voraussetzungen für solch ein Zusammentreffen erfordert individuell angepasstes Reaktionsverhalten des Betroffenen. Das heißt, eine Fall-zu-Fall-Betrachtung ist notwendig, die situationsabhängig und natürlich auch vom Hund abhängig abgeschätzt werden muss. Kommt mir ein sehr großer Hund entgegen, dessen Rasse für ihren Verteidigungsverhalten von Hab und Gut bekannt ist, werde ich mich sicherlich anders entscheiden, als wenn mir ein kleinerer Vertreter aus der Kategorie der Gesellschaftshunde entgegenkommt.

 

Egal wie die Situation aussieht, die ersten beiden Empfehlungen sind immer gleich:

  • Ruhe bewahren! Dem Impuls des Weglaufens nachzugehen ist hier sicherlich ein schlechter Berater. Die Bewegung motiviert den Hund vielmehr dazu hinterherzulaufen. Besser beraten ist man hier mit einem ruhigen und besonnenen Vorgehen, bei dem man …
  • ... erst einmal versuchen sollte den entgegenkommenden Hund einzuschätzen. Hundebesitzer haben hier den großen Vorteil, dass sie häufig Hunde besser lesen können. Menschen ohne engen Bezug zu Hunden haben es hier deutlich schwerer. Was will der Hund, der mir dort entgegenkommt? Sieht er freundlich motiviert aus und möchte mich begrüßen kommen? So etwas erkennen wir an vergleichsweise lockeren Bewegungen. Der Hund wirkt in seiner Annäherung etwas „schlaksig“.Oder sehe ich einen angespannt und steif wirkenden Hund, der sehr zielgerichtet auf mich zukommt und mir seine Zahnreihe präsentiert? Sofern der Hund bellt, kann ich auch hier eine Abschätzung wagen: ist es eher ein hohes Bellen, das in Richtung Kreischen geht, dann bin eher ich auf der sicheren Seite. Je tiefer und je weniger der Hund bellt, desto ernster meint er es. Ein Hund der definitiv aufs Beißen aus ist, macht sich nicht die Mühe noch zu bellen. Solange er bellt, ist an sich noch alles recht in Ordnung und er ist noch dabei uns zu warnen.

An dieser Stelle ist es mir wichtig darauf hinzuweisen, dass Aggression mehrere Ursachen haben kann und man gut darin beraten ist zu verstehen, was hinter einem aggressiven Verhalten steckt. Nehmen wir uns kurz die Beispiele Angst-Aggression und territoriale Aggression zur Veranschaulichung:

 

Wenn ein Hund aus Angst anfängt zu beißen, heißt das, er ist so weit in die Enge getrieben, dass er keinen anderen Ausweg sieht, als in die Offensive zu gehen und den Angreifer durch Abschnappen oder gezielte Bisse zu vertrieben.

Geht es dem Hund um sein Territorium, ist der Grundgedanke der gleiche: ‚Verschwinde aus meinem Revier!‘ Jeder Aggression liegt also der Wunsch zur Abstandsvergrößerung zu Grunde. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf, heißt das für mich: „Raus aus der Situation!!!“ und zwar langsam und gesittet. Gesetzt den Fall, man ist ohne den eigenen Hund unterwegs, vereinfacht es die Angelegenheit weil man sich keine Gedanken um den eigenen Vierbeiner machen muss.

  • Man sollte versuchen, wenn möglich, langsam rückwärts zu gehen und Abstand zu dem entgegenkommenden Hund aufzubauen. Häufig reicht das dem Vierbeiner schon und er bleibt ebenfalls stehen bis ihm der Abstand groß genug erscheint, um sich dann umzudrehen und seines Weges zu ziehen.
  • Es empfiehlt sich den Hund nicht zu fixieren, also in seine Augen zu starren. Das wird von Hunden als sehr unhöflich, sogar als Provokation, gedeutet. Höflicher ist es, immer mal wieder den Blick abzuwenden oder auf den Boden zu sehen. Auch wenn es schwerfällt, weil ich natürlich beobachten möchte, wie sich der Angreifer verhält, um gegebenenfalls reagieren zu können.
  • Kommt der Hund dennoch langsam näher, kann es helfen ihn anzuschreien und mit leicht vorgebeugtem Oberkörper des Platzes zu verweisen. Manchmal ist ein Schritt auf den Hund zu ebenfalls eine gute Möglichkeit. Dies verspricht in erster Linie bei unsicheren oder freundlich motivierten Hunden Erfolg.
  • Habe ich es mit einen kranken, auf Aggression trainierten oder verhaltensauffälligen Hund zu tun, der weiterhin nur im Sinn hat mich zu beißen, hilft eigentlich nur um Hilfe zu rufen und im Falle einer Beiß-Attacke, eine Jacke oder ähnliches, um den Kopf des Hundes zu wickeln (sofern man etwas derartiges dabei hat), und zu hoffen das jemand kommt, um zu helfen.
  • Hat sich der Hund verbissen und ich habe noch den Handlungsspielraum mit einer Hand in das Halsband zu greifen, kann ich versuchen dem Hund die Luft zu rauben, indem ich das Halsband immer enger drehe, bis der Hund bewusstlos wird.

Die größte Herausforderung an den oben genannten Ratschlägen ist meine eigene Angst. Hunde können „Emotionen riechen“, beziehungsweise das, was wir in bestimmten Situationen an Hormonen abgeben, die mit gewissen Emotionen korrelieren. Biologisch kann das hilfreich sein, muss es aber nicht. Wir kennen viele herzensgute Hunde, die in ihrer Eigenschaft als hochsoziale Tiere, gerade auf die Menschen zugehen, die Angst verspüren, um ihnen zu zeigen: „Hey, ich bin total lieb. Schau doch, ich tu Dir nichts!“ Einem Angstpatienten hilft dieses Verhalten leider nicht weiter.

Angst hat viel mit dem Gefühl der Unkontrollierbarkeit zu tun, und in der oben beschriebenen Situation kontrolliert der Mensch die Situation nicht. Der Hund kommt unbeirrt näher. Wenn ich an meiner Kynophobie, also der Angst vor Hunden, arbeiten möchte, muss ich mir Situationen schaffen, in denen ich das Lerntempo frei bestimmen kann. Es ist empfehlenswert sich einen Hundebesitzer seines Vertrauens zu suchen und sich immer wieder im Park mit ausreichend Abstand zu treffen und zu versuchen, sich über Wochen immer näher an den Hund heranzuarbeiten.

Vielleicht finde ich auch eine Hundeschule, bei der ich mal nachfragen kann, ob sie mir die Möglichkeit gibt an meiner Angst zu arbeiten. Besonders empfehlenswert, aber auch selten, sind Hundeschulen, die Kurse geben, wie man Hunde lesen lernen kann, beziehungsweise dort die Möglichkeit einräumen friedliche Hunde verschiedener Größe kennen zu lernen.

Vielleicht hilft als ersten Ansatz um in die Therapie einzusteigen, die Gewissheit, dass die wenigsten Hunde aggressiv sind. Hunde wägen vielmehr ihre Chancen in einer Auseinandersetzung ab und sind nicht erpicht darauf selbst verletzt zu werden.

 

Kommen wir noch kurz zu der Begegnung mit einem aggressiven Hund, wenn ich meinen eigenen Vierbeiner dabeihabe. Die Punkte 1 bis 7 passen natürlich auch hier, ich muss nur zusätzlich immer ein Auge auf meinem Hund haben. Wenn der sich nicht mit mir zurückzieht, schlimmstenfalls sogar noch vorschießt, dann erschwert es die Sache verständlicherweise. Versteckt sich mein Hund hinter mir, kann ich versuchen den anderen Hund abzublocken, geht mein Hund gewöhnlich offensive nach vorne, sollte ich frühzeitig das Weite suchen, um durch Abstandsvergrößerung zu deeskalieren.

Bei Hundebegegnungen ist das Starren ein häufiger Auslöser für den Hundestreit. Als Halter muss ich daher immer versuchen, den Blickkontakt der beiden Kontrahenten zu unterbinden, indem ich meinen Hund mit Futter ablenke oder ein Signal antrainiert habe, dass ihn auf mich konzentriert, indem er mich zum Beispiel ansieht oder meine Hand anstupst. Auch hier hilft ein regelmäßiges Training von Hundebegegnungen in einem kontrollierbaren Umfeld, um den eigenen Hund einschätzen zu lernen, Ablenkungsmethoden aufzutrainieren und, wenn es so weit ist, mit der ausreichenden Ruhe und innerer Sicherheit in eine „reale“ Situation zu gehen.

 

Für den Ernstfall muss jeder selbst entscheiden, ob man sich in die Beißerei einmischen will oder nicht. Ich rate meinen Kunden, so schwer es auch fallen mag, aus der Schusslinie zu gehen und an sich zu denken. Wer mit schweren Bissverletzungen blutend neben seinem Hund liegt, kann diesen nicht zum Tierarzt fahren.

 

Ich spreche in der obigen Betrachtung im Allgemeinen von Hunden, die nicht durch Krankheit oder Training ihres normalen Verhaltens beraubt wurden. Ein falsch ausgebildeter Schutzhund oder ein Hund mit Gehirntumor, wird sich unter Umständen nicht an die „biologischen Regeln“ halten; hier sprechen wir aber von absoluten Ausnahmefällen.

Zu guter Letzt noch ein einfacher Trick, so einfach, dass man häufig nicht dran denkt. Viele Hundehalter sind mittlerweile mit Futterbeuteln unterwegs. Ein Griff in den Beutel und ein Futterregen in Richtung des entgegenkommenden Hundes wirkt manchmal Wunder und gibt ausreichend Zeit zu verschwinden, während der andere noch den Boden absucht.

 

An dieser Stelle eine Bitte und gleichzeitig ein Rat an die Hundehalter, die ihre Hunde frei laufen lassen oder an sehr langer Leine führen: Angst ist eine Emotion, Emotionen sind nicht logisch und rufen unkalkulierbare Reaktionen hervor. Trifft ein noch so lieber Hund auf einen Menschen mit Kynophobie, wird dieser Angst bekommen und seinen Schutzmechanismus instinktiv abspulen. Manche laufen weg, andere treten nach Hunden, diejenigen die mit einem Gehstock oder einem Schirm bewaffnet sind, stechen oder schlagen nach Hunden. Nicht aus Hass oder Verachtung, sondern aus purem Selbsterhaltungstrieb, aus Selbstschutz. Die Reaktion des Hundes darauf kann instinktiv ebenfalls wieder ein verteidigender Angriff sein. Wo das endet, darf sich jeder selbst ausmalen, häufig führt es aber zu einer Anzeige und einer Maulkorb- und Leinenpflicht für den Hund.

Besondere Rücksichtnahme empfiehlt sich bei Menschen aus Kulturkreisen, die dem Hund nicht so nahestehen, wie es der Nordeuropäer gemeinhin tut. Die meisten von uns halten sich keine Spinnen, Skorpione und Schlangen als bevorzugte Haustiere, einfach weil sie uns unheimlich sind und unser Forscherdrang nicht ausreicht, sich ein solches Tier ins Haus zu holen und das Zusammenleben auszuprobieren. Nun, für andere Menschen sind Hunde eben wie solche Spinnen, Skorpione oder Schlangen.

 

 

Joern


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